DR. EIKE WENZEL
GRÜNDER UND LEITER DES INSTITUTS FÜR TREND- UND ZUKUNFTSFORSCHUNG,
HEIDELBERG
Wie sieht die Zukunft der Arbeit aus und wo findet sie statt? Drei Vorbehalte gegen den Homeoffice-Hype
Im ersten Lockdown erzeugte es noch einen erfreulichen Überraschungseffekt: „Schau an, das geht doch auch online“, war von vielen Büroinsassen zu hören, als die Pandemie die Mitarbeiterschaft in die eigenen vier Wände komplimentierte. Digitalisierung muss ja für irgendetwas gut sein: Homeoffice ist das next big thing. Doch Forscher der University of California haben herausgefunden, dass der Lockdown und damit einhergehend das wenig aufregende Bewohnen der eigenen vier Wände bei vielen Menschen auch zu Gedächtnisverlust und Vergesslichkeit geführt hat. Kontaktverarmung und eintönige Tage senken offenbar die Hirnaktivität. Und gerade jetzt verkünden Weltunternehmen wie Siemens, Facebook oder Twitter, dass sie ihre Mitarbeiter am liebsten nur noch im Homeoffice sehen möchten.
Nicholas Bloom, Wirtschaftsprofessor an der Stanford University, befürchtet mittelfristig Innovationseinbußen durch Onlinekommunikation und bestätigt, dass es in Arbeitsprozessen heute und in Zukunft vor allem um eines geht: Kreativität, neue Geschäftsmodelle, neue Kunden, neue Produkte, neue Produktsegmente.1 Für diese Prozesse braucht es als Basis jede Menge Wissen, einen verlässlichen Ort, der dieses Wissen garantiert. Und dieses Wissens findet sich im Internet, in anderen Netzwerken, ist aber auch im Unternehmen, in der Abteilung und vor allem in Personen kondensiert.
Halbwegs vernünftig designte Arbeitsplätze haben – trotz allem – in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten so etwas wie ein schwer greifbares (unternehmens-)kulturelles Kapital aufgebaut. Von dieser sozial-schöpferischen Bindungsenergie haben wir auch noch in der ersten Phase der Pandemie profitiert. Dieses Kapital braucht sich aber mit der Zeit auf. Es braucht dann neue Impulse.
Kreativität braucht Wissen und einen verlässlichen Ort, der dieses Wissen garantiert. Und dieses Wissen ist im Unternehmen, in der Abteilung und vor allem in Personen kondensiert.
Die Remote-Realität in der Pandemie sieht immer häufiger so aus: Wieder ist der Kunde nicht erreichbar, weil er gerade eine Runde mit dem Hund dreht. Zwischenzeitlich stürzt die Konferenz-Software ab und das Schulkind versteht die Rechenaufgaben nicht. Verlässlichkeit und Stringenz gehen verloren. Rund vier Stunden länger arbeiten wir pro Woche, seit wir Homeoffice machen.2 Machen wir uns nichts vor: es gibt ihn, den Homeoffice-Blues. Aus einer globalen Studie, in Auftrag gegeben von Lenovo, geht hervor, dass sich 71 Prozent der Befragten über neue oder gesteigerte Beschwerden wie Kopfschmerzen, Müdigkeit, Erschöpfung und Schlafprobleme durch fortgesetztes Bildschirmglotzen zuhause klagen.3 Sind wir im Homeoffice wirklich produktiver geworden, gar kreativer?